"Die Silhouette" - Lebenswerk
"Vorhin, uff'm Friedhof, da hab' ick se jehört, die innere Stimme. Da hat se jesprochen, da hat se zu mir jesagt: Mensch, hat se jesagt, einmal kneift jeder 'n Arsch zu - du auch, hat se jesagt, und dann stehste vor Jott dem Vater, der alles jeweckt hat, vor dem stehste denn, un der fragt dir ins Jesichte: Schuster Willem Voigt, wat haste jemacht mit dein' Leben, un dann muß ick sagen: Fußmatte ...Fußmatte, muß ick sagen, die hab ick jeflochten in Gefängnis, un da sind se alle drauf rumjetrampelt…“
So der Schuster Voigt in Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick“.
"Lebenswerk" ist ein großes Wort. Von Dietrich Bonhoeffer stammt die Aussage: „Nicht im Möglichen schweben, sondern das Wirkliche tapfer ergreifen.“ Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich, sofern er nicht völlig dement oder anderweitig behindert ist. An Arnold Marquis muß ich denken, der über eintausend Synchronrollen gespielt hat, der parallel dazu stets am Theater aufgetreten ist, begleitet vom Applaus seiner treuen Fans, und des Nachts häufig noch Hörspiele aufnahm. Ein Jahr lang war er aus bekannten Gründen außer Gefecht gesetzt und wollte anschließend den Beruf des Psychologen ergreifen, „bevor mich der Beruf des Schauspielers wieder aufgefressen hat.“ Selbst nach einer schweren Lungenentzündung hat er viel zu früh wieder angefangen zu synchronisieren und im Ensemble der „Tribüne“ in Berlin auf der Bühne gestanden. Als er dann 1990 mit 69 Jahren verstarb, konnte man nur sagen, dass er ein erfülltes Leben hatte, aus dem er das Bestmögliche gemacht hat.
Lebenswerk ist immer relativ. Daher muß die Würdigung eines Lebenswerkes auch immer so individuell betrachtet werden. Der Ire Peter O’Toole hat die Ehrung für sein Lebenswerk abgelehnt. Er fange doch gerade erst an, richtig loszulegen. Das American Film Institute ehrte Größen wie z.B. John Huston, Alfred Hitchcock, Frank Capra oder James Stewart noch zu Lebzeiten mit dem Silver Star für ihr Lebenswerk.
Der eine braucht Ruhe und Abgeschiedenheit, um kreativ zu sein, der andere muß ständig unter Druck stehen. Van Gogh hat zeitlebens kein Bild verkauft und ist heute einer der am teuersten verkauften Maler. Wer bestimmt, ob man ein Genie oder ein Versager wird ? Audrey Hepburn hat vergleichsweise wenige Filme gedreht, sich aber bis zu ihrem Tode noch für UNICEF eingesetzt. Jeder kennt und verehrt sie.
Die Auszeichnung für das Lebenswerk bedeutet ja nicht zugleich, dass dieses schon beendet ist, sondern das bisher Geleistete bereits einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat und unvergessen bleibt. Wenn hier das Lebenswerk honoriert wird, soll dies also nicht als Abschied verstanden werden, sondern vielmehr als Aufmunterung, so weiterzumachen, wie bisher, weil die Arbeit der Künstlerin oder des Künstlers große Begeisterung und Bewunderung hervorgerufen hat. Und zumeist besteht die wahre Größe einer jeden Person, die für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird, darin, zu verdeutlichen, dass es ohne andere gar nicht zustande gekommen wäre. Deshalb hätten es Autorinnen und Autoren, Regisseure, Cutterinnen, Tonmeister und selbst Geräuschemacher gleichermaßen verdient, im Fokus zu stehen. Hier jedoch geht es primär um Synchronschauspielerinnen und –schauspieler, die zur Würdigung anstehen. Ich würde es allerdings nicht ausschließen, diese Ehrung auch posthum auszusprechen, z.B. für Evelyn Maron.
Peter Finch wurde beispielsweise auch erst nach seinem Tod für NETWORK mit einen „Oscar“ ausgezeichnet ....
Verfasser: Karsten Prüßmann, Autor und Übersetzer